Risikoreduktion

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Risikoreduktion - Tobacco Harm Reduction

Bei dem Ansatz Tobacco Harm Reduction geht es um die mögliche Reduzierung gesundheitlicher Risiken des Tabakkonsums durch die Bereitstellung potenziell weniger schädlicher Produkte.

Das Konzept der Risiko- bzw. Schadens-Reduktion (Harm Reduction) wurde 2001 im Bericht des amerikanischen Institute of Medicine Clearing the Smoke beschrieben. Die Experten kamen darin zum Ergebnis, dass die gesundheitlichen Risiken des Tabakkonsums nicht nur durch einen Rauchstopp reduziert werden können. Auch risikoreduzierte Produkte können zu einer deutlichen Verringerung der Gesundheitsschäden bei Rauchern beitragen.

Tabakrauch enthält neben Nikotin bis zu 7.000 verschiedene Substanzen, die überwiegend durch Pyrolyse- und Verbrennungsprozesse entstehen und von denen über zweihundert mit Folgeerkrankungen des Rauchens in Verbindung gebracht werden. Etwa hundert werden als Ursache oder mögliche Ursache für Krebserkrankungen eingestuft.

Nikotin birgt zwar Gesundheitsrisiken und macht abhängig, ist jedoch weder krebserregend noch eine Hauptursache von rauchbedingten Erkrankungen. Durch die enge Verbindung von Nikotin mit Tabak und Rauchen bestehen jedoch viele Missverständnisse über das Risikopotenzial von Nikotin.

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Aktuell

Niederländisches RIVM und deutsches BfR einig in Risikobewertung:
Nikotinpouches sind potenziell weniger schädliche Alternative zum Tabakkonsum

Der Bericht des RIVM wurde am 05.07.2021 veröffentlicht, die erste vorläufige BfR-Stellungnahme zu Nikotinpouches am 30.03.2021. Beide Berichte kamen zu ähnlichen Schlussfolgerungen.

Nikotinbeutel (Pouches) sind eine neue tabakfreie Alternative zu herkömmlichen Zigaretten und Tabakerzeugnissen. Sie bestehen aus porösen Portionsbeutelchen, die vor allem Stärke, Pflanzenfasern, Aromen und aufgereinigtes Nikotin enthalten. Pouches werden zum Gebrauch in den Mund unter die Oberlippen gelegt. Das Nikotin wird über die Mundschleimhäute resorbiert. Ähnlich wie bei Kautabak und anderen rauchlosen Tabakerzeugnissen treten keine krebserregenden oder gesundheitsschädlichen Verbrennungsprodukte auf. Pouches sind mittlerweile in vielen Mitgliedsländern der europäischen Union im Handel oder über das Internet erhältlich.

Tabakfreie Nikotinpouches sind neuartige Produkte, die eine angemessene rechtliche Regelung erfordern, da sie zum Konsum der - abhängig machenden - Substanz Nikotin genutzt werden. Der BVTE hat dazu eine klare Position: Pouches sollten zukünftig spezialgesetzlich reguliert werden. Dies könnte beispielsweise durch eine Aufnahme ins Tabakerzeugnisgesetz erfolgen, in dem auch andere nicht tabakhaltige Nikotinprodukte (E-Zigaretten) geregelt sind.

Der Genuss von Nikotin findet bei Pouches beabsichtigt statt und ist mit gesundheitlichen Risiken verbunden. Deshalb wäre es nicht sachgerecht, die gesundheitliche Bewertung von Nikotinpouches an den Maßstäben einer ungewollten Nikotinaufnahme auszurichten. Tabak- und Nikotinprodukte werden maßgeblich wegen der Nikotineffekte konsumiert, wobei sich die Risiken der verschiedenen Aufnahmeformen und Produktkategorien stark unterscheiden. Daher ist eine differenzierte und vergleichende Bewertung der produktbezogenen Risiken erforderlich. Zwei wichtige wissenschaftliche Einrichtungen in der Europäischen Union, das niederländische RIVM und – in einer vorläufigen Bewertung - das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), kamen für Pouches zum gleichen Ergebnis: Im Vergleich zum Tabakkonsum ist der Konsum von Nikotinpouches potenziell weniger schädlich.

Das RIVM hatte mit seinem Bericht „Nicotine products without tobacco for recreational use“ eine fundierte Bewertung von Nikotinpouches veröffentlicht. Darin wird eine Regulierung im tabakrechtlichen Rahmen empfohlen, weil es sich um tabakähnliche, bzw. dem Tabak verwandte Produkte handelt, die zur Nikotinaufnahme bestimmt sind. Das RIVM bewertet Nikotinpouches als „wahrscheinlich weniger schädliche Alternative zum Tabakkonsum“ und stimmt in beiden Punkten mit der vorläufigen gesundheitlichen Bewertung des BfR überein².

Das RIVM befasste sich detailliert mit den kardiovaskulären Wirkungen von Nikotin, einschließlich einer moderaten und zeitweiligen Erhöhung der Herzfrequenz als sensitivsten Effekt³.  Die kardiovaskulären Risiken des Tabakrauchens sind gut bekannt. Für den tabakfreien Nikotinkonsum stehen vergleichsweise wenige Daten zur Verfügung und eine spezifische Bewertung von Nikotin ist deshalb schwieriger. Die wichtigsten Komponenten des Tabakrauches (Stickoxide, Acrolein und andere Carbonylverbindungen, Kohlenmonoxid u.a.), die die Gefäße schädigen und zu den hohen kardiovaskulären Risiken des Rauchens beitragen, sind jedoch bei der Verwendung von Nikotinpouches nicht relevant. Nach Einschätzung des BVTE sind die kardiovaskulären Risiken daher potenziell sehr viel geringer als beim Tabakrauchen. Erhöhte Risiken für Lungenkrebs und andere tabakassoziierte Erkrankungen sind für fachgerecht hergestellte Nikotinpouches ebenfalls nicht zu erwarten.

Das RIVM schließt schwere oder tödliche Vergiftungen bei einer bestimmungsgemäßen Verwendung für Pouches aus, die bis zu 32,5 mg Nikotin enthalten. Hohe Vergiftungsrisiken bestehen jedoch für Kinder. Zur Begrenzung der gesundheitlichen Risiken und zum Schutz von Kindern, Schwangeren und besonders gefährdeten Personengruppen werden vom RIVM und vom BfR Warnhinweise, kindersichere Verpackungen, sowie ein Höchstwert für Nikotin empfohlen. In Deutschland ist die Abgabe von Nikotinprodukten an Minderjährige bereits verboten.

Im Bericht wird auch das Suchtpotential von Nikotin diskutiert. Das RIVM hält eine Eignung von Pouches als Entwöhnungshilfe potenziell für möglich. Diese Produkte wurden allerdings nicht als therapeutische Anwendungen entwickelt, registriert oder zugelassen– sondern sollen nach Auffassung des BVTE ein Genussmittel für Tabakkonsumenten sein, die eine potenziell weniger schädliche Option für den Nikotingenuss suchen.

Der RIVM befürchtet, dass Nikotinpouches Kinder und Jugendliche besonders ansprechen könnten. Die Argumente dafür bleiben größtenteils spekulativ. Beispielsweise wird angeführt, dass allein schon die verminderte Schädlichkeit Pouches attraktiver machen könne. Diese Möglichkeit sollte jedoch Bestandteil einer Gesamtbewertung sein, die den möglichen Nutzen für Zigarettenraucher einschließt. Potenziell risikoreduzierte Produkte müssen attraktiver als konventioneller Tabak sein, wenn sie im Sinne einer Schadensreduktion (Harm Reduction) einen gesundheitlichen Nutzen entfalten sollen. Es gibt jedoch keine Evidenz dafür, dass Nikotinpouches für Nichtraucher oder Jugendliche in einer besonderen Weise interessant wären. In den Niederlanden haben nur 0,3 % der Jugendlichen (13 bis 17 Jahre) und 1,3 % der jungen Erwachsenen (18 bis 24 Jahre) jemals einen Nikotinpouch konsumiert. Der Anteil der aktuellen und regelmäßigen Nutzer dürfte noch deutlich geringer sein. In der Studie des RIVM verwendeten insgesamt nur 0,06% aller Befragen zum Zeitpunkt der Datenerhebung Nikotinpouches.

Die Empfehlungen des RIVM und des BfR, Nikotinpouches im Tabakrecht zu regulieren, wurde auch mit der Analogie zu E-Zigaretten begründet, die keinen Tabak enthalten, aber durch die europäische Tabakproduktrichtlinie reguliert werden. Die Anpassung dieser Richtlinie wäre mit zahlreichen rechtlichen und verfahrenstechnischen Hindernissen verbunden und könnte mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Eine Einbindung von Nikotinpouches in das jeweilige nationale Tabakrecht wäre zunächst auch in den Mitgliedstaaten möglich. Dieses Vorgehen deckt sich auch mit der Forderung der Verbraucherschutzministerkonferenz der Länder (VSMK) vom 07. Mai 20214 nach einer Änderung des Tabakerzeugnisgesetzes, um für tabakfreie Nikotinprodukte eine Rechtsgrundlage zu schaffen.

Der BVTE hält eine zeitnahe spezifische gesetzliche Regelung für dringlich geboten, im Interesse der Rechtssicherheit, des Verbraucherschutzes und einer bundeseinheitlichen Handhabung. Ähnlich wie bei E-Zigaretten sollten Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Pouches grundsätzlich erlaubt und produktspezifisch reguliert werden.

Aktuell

Position

Konventionelle und neuartige Tabak- und Nikotinerzeugnisse bergen unterschiedlich hohe Risiken für die menschliche Gesundheit. Tabakerhitzer und E-Zigaretten vermeiden Verbrennungsprozesse, so dass insgesamt weniger Schadstoffe freigesetzt werden und die Gehalte deutlich niedriger als im Zigarettenrauch sind. Konsumenten und Umstehende werden deutlich weniger schädlichen Substanzen ausgesetzt, so dass eine potenzielle Reduktion gesundheitlicher Risiken möglich wird. Sachgerecht hergestellte orale Nikotinprodukte sind die am wenigsten schädliche Option für den Genuss von Nikotin und stellen keinerlei Gefährdung für Unbeteiligte dar.

Jeder erwachsene Raucher hat eine eigene Beziehung zum Rauchen und es gibt eine Vielzahl von Gründen, warum Menschen Tabak rauchen. Für viele Raucher, die ihre gesundheitlichen Risiken reduzieren wollen, ist vollständige Abstinenz keine realistische Alternative. Neuartige Produkte können eine geeignete Alternative für erwachsene Raucher darstellen, die weiterhin Nikotin konsumieren, aber auf Rauchtabakprodukte verzichten wollen.

Um eine akzeptable Alternative für erwachsene Raucher darzustellen, bieten neuartige Produkte einen befriedigenden Nikotingenuss, da sie zugleich sensorische, soziale und Verhaltensaspekte des Rauchens als Ritual bedienen können – anders als medizinische Nikotinersatzprodukte (z. B. Nikotin-Pflaster oder -Kaugummis).

Risiko-Reduktion durch Tobacco Harm Reduction sollte zunächst als individuelle Option zur Vermeidung von Folgeerkrankungen des Rauchens betrachtet werden. Gleichzeitig muss auch die Ebene der Gesamtbevölkerung (Public Health Aspekt) berücksichtigt werden. Neuartige Produkte müssen daher im Kontext einer potenziellen Risikoreduktion drei Schlüsselkriterien erfüllen:

  • Sie müssen deutlich weniger bzw. geringere Mengen an Schadstoffen produzieren.
  • Sie müssen für erwachsene Raucher ein zufriedenstellender Ersatz sein.
  • Sie müssen für Nichtraucher sowie Kinder und Jugendliche unattraktiv sein, um eventuelle Gateway-Effekte, also den Einstieg in ein späteres Rauchen, zu vermeiden. Das setzt sowohl eine entsprechende Regulierung als auch einen verantwortungsvollen Vertrieb voraus, der sich insbesondere nicht an Kinder und Jugendliche richtet.
Position
Literatur

An dieser Stelle verlinken wir eigene Artikel und Beiträge und empfehlen interessante Literatur zum Thema:

  • Gastartikel zu Tobacco Harm Reduction von Dr. Frank Henkler-Stephani, BVTE, in Heino Stöver (Hrsg.) Tobacco Harm Reduction, Fachschulverlag Frankfurt/M. S. 89-114, ISBN ist 978-3-947273-52-2
    PDF Gastartikel Dr. Frank Henkler-Stephani, BVTE

 

 

Rechtliches

Die Grundlage für eine Regulierung von neuartigen Tabak- und Nikotinprodukten sollte eine robuste und umfassende wissenschaftliche Bewertung sein. Daten sollten belegen, dass ein Produkt deutlich weniger schädlich als herkömmliche Tabakprodukte ist.